Im Auftakt zu unserer Miniserie haben wir den Umgang mit Angst Ihrer Bewohner betrachtet. In diesem Teil geben wir Ihnen Hilfestellung, wie auch Sie als Pflegende/r mit den Eindrücken und dadurch ausgelösten Emotionen für sich persönlich umgehen können.

Sie sind auf vielerlei Arten mit möglichen Angstauslösern konfrontiert: einerseits durch die Informationen und Berichte, die Sie in den Medien und in Gesprächen erhalten und in vielen von uns Beklemmung, Ohnmacht, Unsicherheit und Angst auslösen. Darüber hinaus haben Sie vielleicht Familie und/oder Freunde in der Ukraine oder in Russland und sind dadurch persönlich nahe involviert. Andererseits erleben Sie tagtäglich die Reaktionen Ihrer Bewohner, die Sie ebenfalls nicht kalt lassen. Hier kommen diverse Faktoren zusammen und können sich kumulieren.

Was ist Angst überhaupt und wie äußerst sie sich?

Angst zählt zu den sieben Grundgefühlen, die wir Menschen über alle Kulturen und Nationalitäten hinweg gleichermaßen in uns tragen und die sich äußerlich und auch innerlich bei allen Menschen nahezu einheitlich zeigen. Im Allgemeinen können bei der Angst drei Reaktionsbestandteile wahrgenommen werden:

  1. Das Verhalten steuert evolutionär bedingt eine von zwei Stressreaktionen: „fight or flight“, also den Angriff oder die Flucht.
  2. Die Gedanken spiegeln die individuelle Interpretation der Situation, die durch Erfahrungen und Prägungen ausgelöst wird. Dies hat zur Folge, dass jeder Mensch eine gleiche oder sehr ähnliche Situation unterschiedlich wahrnimmt, erlebt und darauf reagiert.
  3. Der Körper lässt die verhaltensgesteuerte Stressreaktion ablaufen, wobei sich Atmung und Herzschlag beschleunigen, sich die Muskeln anspannen und man oft auch feuchte Hände bekommt. Dies wird durch die Ausschüttung von Hormonen, wie z.B. Noradrenalin und Cortisol, ausgelöst.

Doch wesentlich sind die Ansätze, wie wir dieser Emotion begegnen können. In einer Akutsituation kann es hilfreich sein, sich zunächst durch eine Aktivität abzulenken, wenn die Angstgefühle zu dominant werden. So können Sie den Kreislauf durchbrechen und sich zu einem späteren Zeitpunkt in gelösterer Stimmung mit der Angst und ihren Auslösern beschäftigen. Außerdem hilft es vielen, sich im Gespräch mit einem vertrauten Menschen Luft zu machen.

Grundsätzlich und mittelfristig hilfreich sind Ausgleichsmechanismen. Hierzu gehören unter anderem, aber nicht nur:

  • Atem- und Entspannungsübungen: Oft hilft es schon, einige Male bewusst mit geschlossenen Augen tief ein- und wieder auszuatmen. Die erhöhte Sauerstoffaufnahme und die Konzentration auf die Atmung beruhigen rasch. Zur Entspannung können außerdem Progressive Muskelentspannung (PMR) oder Meditation dienen. Dies können Sie allein oder in einer Gruppe praktizieren.
  • Selbstfürsorge: Die meisten von uns haben Rituale oder Aktivitäten, die uns guttun und durch die wir Kraft tanken können. Sei es ein Spaziergang im Wald, ein heißes Bad, Sport, der Besuch in der Sauna oder Zeit mit der Familie. Sie können sich in einem Buch oder Film verlieren? Planen Sie sich bewusst regelmäßig Ihre persönliche Kraftoase ein!
  • Verankerung im Hier und Jetzt: Hierfür gibt es verschiedene Wege. Sie können sich z.B. einige Minuten Zeit nehmen und detailgenau den Raum beschreiben, in dem Sie sich befinden, oder den Ausblick aus dem Fenster. Wichtig hierbei ist, dass Sie rein die Fakten beschreiben, also zum Beispiel „ich sehe einen braunen Tisch, auf dem ein Stapel Dokumente liegt und drei Tassen stehen.“ Interpretieren Sie nicht und schreiben Sie ggf. auf, was Sie sehen. Das hilft, den Fokus zu halten.
  • Konfrontation: Hierbei erweitern Sie die voranstehende Technik. Beschreiben Sie faktisch die Situation, die Angst auslöst – oder begeben Sie sich in solch eine Situation, und nehmen Sie die zugehörigen Emotionen wahr. Dann können Sie Ihre Wahrnehmung der Situation mit der Realität abgleichen und so ggf. Ihre Angst reduzieren oder mit der Zeit ablegen. Die Konfrontation bedarf Übung und Nachsicht mit sich selbst. Zudem empfiehlt sich die Anwendung dieser Technik unter Aufsicht eines Mentors, Coaches oder Therapeuten, insbesondere wenn es sich um tiefsitzende Ängste oder gar eine Angststörung handelt.
  • Das Annehmen der Angst: Vielen fällt dieser Schritt am schwersten, da es sich um ein beklemmendes, negativ behaftetes Gefühl handelt. Ursprünglich ist die Angst jedoch lebensnotwendig, da sie uns vor bedrohlichen Situationen warnt. Allein durch die Akzeptanz verringert sich die emotionale Reaktion häufig schon.
  • Supervision: Auch im regulären Pflegealltag sind Sie hohen Belastungen ausgesetzt, sowohl physischer als auch psychisch-mentaler Natur. Durch Supervision bietet sich die Möglichkeit, Konfliktpotenzial zu reflektieren, sich mit Krisensituationen auseinander zu setzen sowie ggf. Lösungen zu erarbeiten. Im Fokus steht hierbei die emotionale Entlastung sowie eine persönliche Unterstützung, so dass ein individuelles Problemlösungsverhalten aufgebaut werden kann.

Heutzutage kennen viele von uns Angst überwiegend aus Situationen, die nicht unmittelbar lebensbedrohlich sind. In der aktuellen Lage ist dies jedoch anders, wir erleben durch den Kriegsausbruch in der Ukraine eine akute Gefahr und keiner weiß, wie sich diese Krise weiter entwickeln wird. Eine allgemeingültige Lösung gibt es nicht, wir wünschen Ihnen jedoch viel Kraft und einen achtsamen Umgang mit sich selbst, um eine für Sie passende Bewältigungsstrategie zu entwickeln.